Bereits zum 6. Mal lud Avenergy Suisse am 25. Oktober 2022 die Mitglieder der Mineralölbranche zu ihrem Branchentag ein. Dieser fand unter dem Titel «Versorgungskette, Versorgungskrise» im Restaurant Metropol in Zürich statt.
In seiner Begrüssung erklärt Avenergy-Suisse-Geschäftsführer Roland Bilang, dass eigentlich eine Tagung zu den zahlreichen, derzeit hängigen energiepolitischen Themen geplant gewesen wäre; angesichts der aktuellen Lage sei man bei der Planung der Veranstaltung aber nicht um die drohende Energiekrise herumgekommen. Diese sei, so Bilang weiter, aber nicht durch den Krieg in der Ukraine verursacht worden – die Gründe dafür seien komplexer und die Krise habe sich bereits seit Jahren abgezeichnet.
Avenergy-Präsident Daniel Hofer beginnt seine Ausführungen mit der Feststellung, dass die Thematik der Versorgungssicherheit die Diskussion um die «Klimakrise» verdrängt hat. In diesem Zusammenhang weist er auf das so genannte «Energietrilemma» hin: In der Energieversorgung müssen die drei Aspekte Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und ökologische Nachhaltigkeit in einem gesunden Verhältnis zueinanderstehen. Dieses Dreieck gerät jedoch aus dem Gleichgewicht, wenn die Politik einen der drei Aspekte zu stark gewichtet. Dies war in den letzten Jahren der Fall, denn der öffentliche Fokus lag fast nur noch auf der Nachhaltigkeit bzw. dem Klimaschutz. Durch die Verwerfungen im Zuge des Ukrainekriegs habe sich dies nun aber schlagartig verändert, so Hofer weiter.
Der Erdölmarkt funktioniert
Die Klimathematik habe gemäss Daniel Hofer die letzten Jahre ungemein geprägt. So stark, dass das Netto-Null-Ziel trotz der derzeitigen Probleme nach wie vor unhinterfragt bleibe. Die Schweiz unternehme massive Anstrengungen, um ihren Anteil am globalen CO2-Ausstoss von einem Promille auf null Promille zu drücken. Dies, obwohl der Energieträger Öl international nach wie vor der Goldstandard sei. «Die Energiestrategie 2050 des Bundes ist gescheitert», hält Hofer nachdrücklich fest. Man könne nicht eine jahrzehntelang gewachsene Versorgungsinfrastruktur – wie sie etwa die Erdölversorgung auszeichnet – innert weniger Jahre durch ein neues System ersetzen. Der Avenergy-Präsident beendet seine Ausführungen mit der Frage, ob die derzeitige Krise einem Markt- oder einem Politikversagen geschuldet sei. Dies liesse sich nicht so einfach beantworten. Sicher könne man nur festhalten, dass beim Mineralöl der Markt stets funktioniert habe und auch weiterhin funktionieren wird – ganz im Gegensatz zum Strommarkt, der sich in Zeiten der Krise als deutlich weniger resilient präsentiert.
NZZ-Journalist und Energieexperte Gerald Hosp hält zu Beginn seiner Ausführungen fest, dass Prognosen im Bereich Mineralöl – etwa zum Preis oder zur Zukunft der Branche – äusserst schwierig sind und daher vermieden werden sollten. Trotzdem werde das Ende des Erdölzeitalters immer wieder vorschnell verkündet, obwohl Erdöl im weltweiten Energiemix nach wie vor dominiere. Gleichzeitig sieht Hosp die Kohle als grosse Gewinnerin dieser Energiekrise, in der die Versorgungssicherheit zurück ins Zentrum der Diskussion gerückt sei.
Keine einfachen Lösungen in Sicht
Doch wie lässt sich die Krise meistern? Eine von grünen Kreisen immer wieder vehement geforderte Abkoppelung von ausländischen Energieimporten ist nur zum Preis einer zusätzlichen Elektrifizierung zu haben, verbunden mit den bekannten Problemen bei der Versorgungssicherheit. Besser wäre, so Hosp, eine Diversifizierung der Energiequellen, der Lieferanten und der Importrouten, etwas, wodurch sich die Mineralölbranche bereits heute auszeichnet. Als weiteren möglichen Lösungsansatz stellt Gerald Hosp zusätzliche Staatsinterventionen zur Diskussion, um das «Energietrilemma» zu managen. Bürokratie gebe es in der Energiepolitik aber bereits mehr als genug. Der Weg aus der Misere ist also kein einfacher – Hosp sieht den Königsweg in einem System der Kostenwahrheit, d.h. einem idealerweise weltweit einheitlichen CO2-Preis, dessen Einnahmen grösstenteils an die Bevölkerung zurückverteilt werden.
Giovanni Serio, Leiter Research bei Vitol, einem der grössten Rohstoffhändler der Welt, bietet in seinem Referat eine äusserst interessante Einschätzung der energiepolitischen Grosswetterlage aus Sicht des globalen Rohstoffhandels. Er erinnert die Anwesenden daran, dass die Mineralölbranche auf konstante Investitionen angewiesen ist: ohne Investitionen gehen die Fördermengen weltweit unweigerlich zurück und ebendiese blieben seit der Coronapandemie, aber auch aufgrund des seit Jahren immer grösser werdenden Drucks der Politik auf fossile Energieträger zusehends aus. Aus diesem Grund habe sich die weltweite Fördermenge bis heute nicht auf das vor-Corona-Niveau erholt. Einen weiteren unberechenbaren Faktor, der die weltweite Mineralölbranche durcheinanderbringe, sieht Giovanni Serio im Ukrainekrieg sowie im Umgang mit dem Aggressor Russland.
Nachhaltiges Wachstum durch Regulierungsabbau
Zu «Europas brutalem Aufwachen» im Rahmen der Energiekrise referiert als letztes vor der Mittagspause Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher. Er verweist gleich zu Beginn auf das Märchen «Des Kaisers neue Kleider» und wendet die Metapher des nackten Kaisers auf die europäischen Regierungen an, die im Zuge der Energiekrise auf einmal komplett entblösst dastehen. Schadenfreude sei allerdings nicht angebracht, vielmehr seien rasche Lösungen gefragt.
Seine eigene Branche, die MEM-Industrie, sei bezüglich Klimaziele auf Kurs, dies insbesondere aufgrund der Tatsache, dass viele Industriebetriebe in den vergangenen Jahrzehnten von Öl auf Gas umgestiegen sind. Die derzeit hohen Strompreise bedrohen nun aber zahlreiche Betriebe in deren Existenz; noch fataler für die Industrie wäre zudem ein allfälliger Blackout. Als Sofortmassnahme hat die Branche – wie vom Bundesrat angewiesen – den Umstieg zurück von Gas auf Öl eingeleitet. Das derzeit vielfach geforderte Energiesparen sieht Stefan Brupbacher hingegen bestenfalls dafür geeignet, die unmittelbar drohende Krise abzuwenden. Langfristig sei Verzicht aber keine Lösung für ein westliches Industrieland wie die Schweiz, vielmehr müsse ein Weg gefunden werden, über einen Regulierungsabbau ein nachhaltiges Wachstum zu fördern.
In der anschliessenden, von Moderator Reto Brennwald geführten Diskussionsrunde legt sich der Fokus rasch auf die schweizerische Klima- und Energiepolitik. Daniel Hofer konstatiert vehement, dass die herrschende Klimapolitik der Wirtschaft mehr schadet als nützt – die Schweiz müsse beim Klimaschutz weltweit nicht als Musterknabe vorangehen. Weiter wird das von allen Referenten genannte Energietrilemma intensiv diskutiert. So wies Stefan Brupbacher darauf hin, dass die erzwungene Abkehr von fossilen Energien und damit die Unabhängigkeit von nahöstlichen Autokratien zwangsläufig zur Abhängigkeit von anderen Autokratien führen würde. Diese Widersprüche würden in der öffentlichen Diskussion pikanterweise verschwiegen. Er bejaht, dass generell ein Zeitgeist herrsche, der es kaum zulässt, in Klimafragen vom Konsens abweichende Meinungen zu vertreten.
Lebensversicherung Heizöl
Als «Letzte Verteidigungslinie der Zivilisation» bezeichnet Avenergy-Vizedirektor Fabian Bilger die Energieträger Diesel und Heizöl. Er spricht mit diesem – zugegebenermassen provokativen – Titel auf die wichtige Rolle des Mineralöls in der schweizerischen Energieversorgungssicherheit an. Gerade in der derzeitigen Krise, in der ein gleichzeitiger Mangel an Strom und Gas droht, führt kein Weg an Öl vorbei. Benzin, Diesel und Heizöl sind die einzigen Energiequellen, die uneingeschränkt verfüg- und völlig unproblematisch lagerbar sind. Eine besondere Rolle komme in der jetzigen Situation dem Dieselgenerator als Rückversicherung für kritische Infrastrukturen, Grosskonzerne, KMU und Private zu. Doch nicht nur das: Die Gesamtheit aller in der Schweiz verbauten Dieselgeneratoren liesse sich gemäss Fabian Bilger auch als eine Art dezentrales Stromproduktionskraftwerk nutzen, das einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit während einer Strommangellage liefern könnte. Dazu brauche es aber noch diverse Anpassungen und Koordinationsmassnahmen seitens der Politik.
Wenn es um die Versorgungssicherheit mit Mineralölprodukten geht, kommt man um die nationale Pflichtlagerorganisation Carbura nicht herum. Deren Vizedirektor Martin Rahn beleuchtet unter dem Titel «Versorgungssicherheit ist unser Business» die Rolle seiner Organisation. Die in Zürich ansässige Carbura zeichnet für die Koordination und Überwachung der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtlagerhaltung verantwortlich. 4,5 Monate beträgt der Vorrat an Benzin, Diesel und Heizöl und 3 Monate für Kerosin, der von den Mineralölkonzernen mindestens gehalten werden muss. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass aus dem Ausland keinerlei Mineralölprodukte mehr in die Schweiz importiert werden können, ist somit sichergestellt, dass in unserem Land niemand stehen bleibt oder frieren muss.
Strombranche bereitet sich auf den Ernstfall vor
Eine Art Pendant zur Carbura im Strombereich ist die «Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen» OSTRAL. Deren Leiter Lukas Küng informiert die Anwesenden über die Vorkehrungen, welche die OSTRAL zur Abwendung der drohenden Strommangellage getroffen hat. Insbesondere stellt er die diversen Bereitschaftsgrade vor – andere würden von Eskalationsstufen sprechen –, die je nach Stand der Mangellage zum Einsatz kämen: von Sparappellen über Stromkontingentierung bis hin zu temporären Netzabschaltungen. Über die fatalen Auswirkungen dieser Massnahmen, so sie denn angeordnet werden müssten, sind sich alle Anwesenden im Klaren. Die Strombranche unternehme alles, damit es nicht zum Äussersten komme, verspricht Lukas Küng.
Als letzter Referent des Tages stellt Florian Röthlingshöfer, Direktor Schweizer Rheinhäfen, die Bedeutung des Mineralöltransports per Schiff in den Fokus. 2022 sei kein einfaches Jahr gewesen, zum sommerlichen Niedrigwasser auf dem Rhein sei der Ukrainekrieg dazugekommen, aufgrund dessen grosse Transportkapazitäten durch Getreide, Futtermittel oder Kohle belegt worden seien. Um zukünftig besser mit der Herausforderung tiefer Pegelstände umgehen zu können, sieht Florian Röthlingshöfer Massnahmen wie eine Optimierung des Schiffbaus, Anpassungen der Fahrrinne oder ein internationales Wassermanagement. Mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels arbeite auch die Schifffahrt an fossilfreien Lösungen. Röthlingshöfer ist optimistisch, dass die Binnenschifffahrt bis 2050 Klimaneutralität erreichen könne.
Lässt sich der Blackout verhindern?
In der abschliessenden Talkrunde beantworten die Referenten zahlreiche Fragen des interessierten Publikums. Dieses wird mit dem Eindruck in den Abend entlassen, dass die Schweiz besser auf die Energiekrise vorbereitet ist, als es die teils alarmistischen Medienberichte der vergangenen Wochen vermuten lassen. Ob dies allerdings ausreichen wird, ohne Strom-Blackout durch den Winter zu kommen, lässt sich auch nach dem Besuch des 6. Branchentags von Avenergy nicht abschliessend beantworten – time will tell.