Bei den Neuzulassungen der Personenwagen explodieren die Anteile der alternativen Antriebe förmlich. Trotzdem bilden die Verbrennungsmotoren noch lange die tragende Säule der Mobilität auf der Strasse. Und das ist aus Sicht der Energieversorgung auch gut so.
Roland Bilang, Geschäftsführer Avenergy Suisse
Der Neuwagenmarkt zeichnet sich in den vergangenen Monaten durch eine hohe Dynamik aus. Im September 2021 waren nicht einmal mehr die Hälfte aller neu zugelassenen Fahrzeuge «klassische» Verbrenner mit Diesel- oder Benzinmotoren. Fasst man unter den Alternativen die vollelektrischen Fahrzeuge (BEV), die Normalhybride, die Plug-in-Hybride sowie Gas- und Brennstoffzellenfahrzeuge zusammen, kommen diese bei den Neuzulassungen derzeit auf einen Marktanteil von 55 Prozent. Namhafte Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2025 die Hälfte der neu zugelassenen Fahrzeuge vollelektrisch fahren wird, zum Ende des Jahrzehnts gar bis zu 90 Prozent. In der Politik wie in der Automobilbranche spricht man von einer unterwartet raschen Trendwende. Für viele scheint die Sache gelaufen und dies wird aus umweltpolitischer schon fast euphorisch begrüsst. Garagisten, Zulieferer und Tankstellenbetreiber beobachten die Entwicklung naturgemäss mit gemischten Gefühlen und wachsender Sorge. Doch sind diese Freude und Sorgen überhaupt angebracht, ist das Ende des Verbrennungsmotors tatsächlich besiegelt?
Gefahr der Fehlinterpretation
Allein aus den relativen Anteilen bei den Neuzulassungen lässt sich dazu keine Prognose erstellen. Die Fokussierung auf die Prozente bei den Neuzulassungen birgt die Gefahr, einige zusätzliche Faktoren zu übersehen, und das kann zu Fehlinterpretationen führen.
Erstens widerspiegeln die Neuzulassungen nicht den aktuellen Fahrzeugbestand, und auch die zukünftige Zusammensetzung des Fahrzeugbestandes lässt sich daraus nicht direkt ablesen. Fahrzeuge ohne Stecker (also die klassischen Verbrenner sowie die Normalhybride) machen heute laut den im Oktober publizierten neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik rund 97.4 Prozent des Personenwagenbestandes aus. Im Jahr 2010 lag dieser Anteil noch bei 99.7 Prozent. Der Anteil der reinen Elektrofahrzeuge ohne Tank liegt heute bei 1.5 Prozent. Den Rest bilden die Plug-in Hybride.
Relativ ist nicht absolut
Zweitens sagen Anteile natürlich nichts über die absoluten Zahlen aus. Obwohl der relative Anteil der Fahrzeuge ohne Stecker zwischen 2010 und 2021 also gesunken ist, ist in dieser Zeit ihre Zahl um eine halbe Million, von rund 4 auf 4.5 Millionen angewachsen. Innerhalb dieser Kategorie gab es dabei deutliche Verschiebungen: zunächst wurde die Dominanz des Benziners durch die Dieselfahrzeuge gebrochen, heute verdrängen die Hybride in erster Linie den Diesel. Fakt ist: die Zahl der Fahrzeuge ohne Stecker hat in den vergangenen 10 Jahren um über 10 Prozent zugenommen. Zudem kam es zu Verschiebungen bei den Leistungsklassen. Jahr für Jahr stieg der Anteil der leistungsstärkeren Fahrzeuge: machten jene mit über 100 kW Leistung im Jahr 2010 nur knapp 50 Prozent der neu zugelassenen Verbrenner und Normalhybride aus, stieg ihr Anteil im letzten Jahr auf 67 Prozent. Die höchste Leistungsklasse (über 180 kW) legte in dieser Zeit gar von 7 auf 17 Prozent zu. Die leistungsstärkeren Fahrzeuge trugen somit überproportional zum Wachstum der Verbrenner-Flotte bei.
Vollelektrische Fahrzeuge verdrängen die Verbrenner nicht
Ein dritter Aspekt, der zu Fehleinschätzungen der Zukunft des Verbrennungsmotors führt, ist die Frage nach dem Verwendungszweck der vollelektrischen Fahrzeuge. Der Bestand der reinen Benzin- und Dieselfahrzeuge stagniert seit einigen Jahren bei knapp unter 4.5 Millionen, mit einer Tendenz zum Rückgang in den letzten Jahren. Rechnet man die Normalhybride hinzu, zeigt sich jedoch wie oben erwähnt eine stete Zunahme der Personenwagen ohne Stecker. Die Fahrzeuge mit Stecker drängen bis zum heutigen Zeitpunkt jene mit Verbrennungsmotoren jedenfalls nicht aus dem Markt. Damit verbunden ist die Frage nach den Fahrleistungen, die von den verschiedenen Antriebssystemen erbracht werden. Erste Analysen des Occasionmarkts liefern Hinweise darauf, dass mit den leistungsschwächeren Elektrofahrzeugen tatsächlich deutlich weniger Kilometer zurückgelegt werden als mit Automobilen mit einem Verbrennungsmotor. Die Arbeitstiere unter den Fahrzeugen sind nach wie vor mit einem Diesel- oder Benzinmotor ausgestattet.
Härtetest für die vollelektrische Mobilität steht noch bevor
Prognosen in diesem dynamischen Umfeld sind naturgemäss keine einfache Sache. Natürlich ist es verlockend, aus der aktuellen, technologisch durchaus faszinierenden Entwicklung zu schliessen, dass wir in wenigen Jahren nur noch vollelektrisch unterwegs sein werden. Mit ihrem derzeitigen Anteil von 1.5 Prozent im Bestand haben die Elektrofahrzeuge allerdings den Härtetest in der Praxis erst noch vor sich. Nach wie vor handelt es sich um ein Nischenprodukt für einen kleinen Kreis von Konsumentinnen und Konsumenten. Über der Elektromobilität hängt zudem seit Kurzem das Damoklesschwert der fehlenden Energieversorgung. In den aktuellen Schlagwörtern wie «Ladeangst» und «Recht auf Laden» ist die Gretchenfrage zu erkennen: Wird es ebenso rasch, wie die Elektromobilität nun Einzug in unseren mobilen Alltag halten soll, auch möglich sein, sie mit erneuerbarem Strom zu versorgen? Bekanntlich brauen sich über dem Strommarkt dunkle Wolken zusammen. Seit dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU kann sich die Schweiz nicht mehr auf Nachbarschaftshilfe verlassen. Mitte Oktober forderte Bundespräsident Parmelin die Unternehmen auf, sich in auf eine mögliche Stromknappheit vorzubereiten. In einer solchen Situation müssten Unternehmen und Fabriken den Betrieb runterfahren. Auch Busse, Trams und Züge könnten nur noch eingeschränkt fahren. Schon im März 2025 droht eine Strommangellage, in welcher der Bedarf der Schweiz während 2 Tagen nicht mehr gedeckt werden kann. Zu diesem Schluss kommt eine externe Studie im Auftrag des Bundesamtes für Energie und der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom). Für die längerfristige vollständige Elektrifizierung des Verkehrs würde die Stromproduktion eines zusätzlichen AKWs benötigt. Aber nicht einmal die Stromwirtschaft scheint gewillt, Pläne für ein solches an die Hand zu nehmen. Vor Kurzem hat der Bundesrat die Elcom damit beauftragt, ein Konzept für Spitzenlast-Gaskraftwerke zu erarbeiten. Der Hype um die Elektromobilität wird dadurch endgültig ad absurdum geführt.
Vor diesem Hintergrund muss sich die Politik die Frage stellen, ob es der Weisheit letzter Schluss ist, auf eine rasche Elektrifizierung des privaten Personenverkehrs zu setzen. Vielleicht ist aus der Sicht der Energieversorgung vielmehr das Nebeneinander von Elektro- und Verbrennungsmotoren der zukunftsweisende goldene Mittelweg.