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Mobility Pricing wird vielerorts als Lenkungsabgabe verstanden, um den Verkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Diesem einseitigen «Road-Pricing-Ansatz» unterliege ein Denkfehler, finanztechnisch wie ökologisch, sagt der Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger.

 

Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) sagt es immer wieder gern und laut: «Bezogen auf CO2 haben die elektrisch betriebenen Fahrzeuge des öV äusserst geringe Klimafolgen. Sie verbrauchen weitgehend CO2-freien Strom aus Wasserkraft und Atomenergie.» Solche Aussagen kommen gut an und lassen sich prächtig vermarkten. Vor Jahren nahmen die Berner Verkehrsbetriebe den Ball auf und liessen ihre roten Trams durch die Gassen der Bundesstadt mit dem Slogan zirkulieren: «Dieses Tram fährt CO2 klimaneutral mit Elektrizität aus Wasserkraft.»

Der Öko-Romantik der Verkehrsbetriebe ein Ende setzte Reiner Eichenberger. Der pointierte Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Uni Fribourg griff zur Feder und schrieb eine Kolumne in der «Berner Zeitung» mit dem Titel «Dieses Tram fährt klimaschädigend und lügt». Der Slogan der Berner Verkehrsbetriebe sei reiner Unsinn. Denn jeder Elektrizitätsverbrauch, auch jener aus «sauberer» Produktion, belaste die Umwelt. Eichenbergers Begründung: «Würde der ‹saubere› Strom des öV anderweitig eingesetzt und damit Strom aus ‹dreckiger› Produktion eingespart, würden die ungedeckten Umweltkosten des Schweizer öV heute rund zwei Milliarden Franken betragen.» Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) beziffert die Umwelt- und Lärmkosten des Schienenverkehrs heute mit 700 Millionen Franken pro Jahr. «Diese Zahl basiert auf der Annahme, dass der vom öV verbrauchte Strom keine Umweltbelastung bringt», sagt Eichenberger. Das sei reine Augenwischerei.

Die Zukunft gehört der Strasse

Die Berner Tramanekdote ist aktueller denn je. Denn das zähe Ringen um die Hoheitsdeutung von «guter» und «schlechter» Mobilität prägt die aktuelle Debatte um mögliche Lösungswege aus dem zunehmenden Verkehrschaos im Lande. Der geläufigen Meinung, dass dem motorisierten Individualverkehr (MIV) vor allem die negativen und dem öV die positiven Attribute zuzuordnen seien, kann Eichenberger nichts abgewinnen. Im Gegenteil. Er stellt sich dezidiert auf den Standpunkt, dass die Zukunft der Strasse gehöre, und sorgt damit vielerorts für rote Köpfe.

Entrüstung und Widerstände hindern Eichenberger indes nicht, seine Überzeugung nüchtern darzulegen. Der aus genannten Gründen bereits heute fragwürdige Öko-Bonus des öV werde mit dem rasanten Aufstieg von Elektroautos weiter verblassen. «Zusätzlich werden selbstfahrende Autos die Attraktivität des Individualverkehrs nochmals steigern. Man wird im Auto schon bald essen, schlafen und arbeiten können, wie das heute nur im Bus, Tram und Zug möglich ist.» Die Zukunft gehöre ferner Apps und internetbasierten Märkten für Fahrgelegenheiten. Der Individualverkehr hat laut Eichenberger eine enorme Entwicklung vor sich in Richtung eines Convenience-Transportprodukts von Punkt zu Punkt. «Da wird der öV über kurz oder lang nicht mithalten können.»

Finanzierung durch alle, Subventionen für niemand

Was heisst dies für die Finanzierung der künftigen Mobilität? Für Eichenberger gibt es keine Zweifel: «Mobility Pricing ist ein notwendiges und zielführendes Mittel, um die Finanzierung gerecht auf die Nutzer abzuwälzen.» Das Prinzip müsse jedoch gleichberechtigt auf den Individualverkehr wie auch den öffentlichen Verkehr angewendet werden. «Es gibt für mich keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb der öffentliche Verkehr nach wie vor mit rund acht Milliarden Franken pro Jahr vom Steuerzahler subventioniert wird.» Addiere man die zwei Milliarden Franken Umweltkosten dazu, koste der öV die Allgemeinheit jährlich 10 Milliarden Franken. Und damit schon in absoluten Zahlen mehr als der Individualverkehr. Richtig schlimm werde es aber, wenn die Subventionen leistungsbereinigt betrachtet würden: Heute werde der öV mit 28,2 Rappen pro Personenkilometer subventioniert, der Privatverkehr aber «nur» mit 5,9 Rappen – gerechnet mit den offiziellen Zahlen der öV-freundlichen Bundesverwaltung.

«Warum sollte der autofahrende Steuerzahler den öV-Benutzer, der die Umwelt mitbelastet, künftig weiter finanzieren?», fragt Eichenberger. Aus seiner Sicht würde man via Mobility Pricing für alle und eine Abschaffung der öV-Subventionen eine Kostenwahrheit herstellen, die der Sache am meisten diene.

«Handys werden auch nicht subventioniert»

Prof. Reiner Eichenberger von der Uni Fribourg setzt sich für ein flächendeckendes Mobility Pricing und die Abschaffung aller öV-Subventionen ein. Die Aufregung ob dieser Haltung kann er nicht verstehen.

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Herr Eichenberger, Sie plädieren für einen totalen Subventionsstopp im öffentlichen Verkehr. Könnten Sie die massiven Preiserhöhungen, die das zur Folge hätte, gutheissen?
Ja klar. Sie sind aus Effizienz- und Fairnessgründen absolut gerechtfertigt. Denn schon in der Vergangenheit haben die öV-Nutzer der Allgemeinheit riesige Kosten verursacht. Das darf so nicht weitergehen.

Käme das nicht einer Bevorteilung des Individualverkehrs gleich?
Absolut nicht, denn der Individualverkehr wird pro Personenkilometer und unter Berücksichtigung aller Umwelt- und Unfallschäden nur rund ein Fünftel so hoch subventioniert wie der öV. Und im Rahmen von Mobility Pricing mit Subventionsstopp würde selbstverständlich auch das Autofahren verteuert. Von daher sehe ich keinen Grund für Aufregung.

Ihre Kritiker monieren, dass der öV wichtige Erschliessungsfunktionen hat und im Sinne des Service Public staatlich gestützt sein müsse.
Diese Argumentation hat weder Hand noch Fuss. Mobiltelefone haben im Vergleich zum öV oft eine stärkere Erschliessungsfunktion. Handys werden deswegen aber auch nicht subventioniert. Das gleiche gilt etwa auch für Dorfläden in entlegenen Winkeln des Landes. Sie haben eine wichtige Erschliessungsfunktion, sehen aber deshalb keinen Rappen vom Staat.

Aber ganz viele Arbeitnehmer sind doch Tag für Tag zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs gezwungen?
Ja klar, deshalb sollte ihnen dieses Angebot auch etwas mehr Geld wert sein. Auch hier mache ich einen Vergleich. Wir sind auch alle gezwungen, Kleider zu tragen, wenn wir arbeiten gehen. Aber käme jemand auf die Idee, dass uns der Staat diese Kleider zur Verfügung stellen muss?

Gegen die Einführung von Mobility respektive Road Pricing opponiert auch die Autolobby. Strassenzölle zu Stosszeiten seien unsozial, wird kritisiert.
Die Meinung teile ich nicht. Alternativen zu Road Pricing, etwa eine stärkere Benzinbesteuerung oder auch Fahrverbote und -einschränkungen, wären aus meiner Sicht viel unsozialer. Und in einem elektronischen Road Pricing kann man leicht soziale Komponenten einbauen, die Härtefälle abfedern.

Kritiker glauben, dass Road Pricing die Autofahrer nicht von der Strasse bringen wird.
Das glaube ich auch nicht. Es ist ja auch nicht das Ziel. Es geht darum, dass die Verursacher ihre wahren Kosten bezahlen, was ihnen Anreize gibt, Fahrverhalten und Fahrzeugwahl so anzupassen, dass es weniger Umweltbelastung und Staus gibt. Zudem müssen die grossen Ersparnisse und Einnahmen für den Staat bestmöglich verwendet werden, insbesondere für Steuersenkungen.

Würde die Einführung von Mobility Pricing mit öV-Subventionsstopp nicht im Gegenteil dazu führen, dass die Strassen wegen der vielen Umsteiger von der Bahn noch viel verstopfter wären?
Ich gehe davon aus, dass die Attraktivität der Strasse ob mit oder ohne Mobility und Road Pricing künftig generell steigen wird. Und ich hätte auch schon eine Lösung für dieses Problem. Die SBB haben sich in den letzten 20 Jahren von einer Transportfirma zur riesigen Liegenschaftsbewirtschafterin entwickelt. Sie sollten dazu übergehen, die schlecht genutzten Schienentrassen zu modernen Strassen umzunutzen und gegen Entgelt dem Individualverkehr zur Verfügung zu stellen. Die SBB würde also zur SSB, der Schweizerischen Strassenbetreiberin.

Text/Interview: Robert Wildi

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