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Der vierte Branchentag von Avenergy Suisse, diesmal in Zusammenarbeit mit strasseschweiz ausgetragen, drehte sich rund um die Zukunft der Verkehrsfinanzierung oder, vereinfacht ausgedrückt, um die Frage: wo kommt das viele Geld her, mit dem zukünftig unsere Strassen bezahlt werden? Welcher Verkehrsträger beteiligt sich in welchem Mass an der Finanzierung, wie sehr werden Konsumentinnen und Konsumenten zur Kasse gebeten, welches Finanzierungssystem kommt zukünftig zum Zug? Diese und andere Fragen wurden am gut besuchten Branchentag im Zürcher Restaurant Metropol kontrovers diskutiert.

 

Branchentag 76 Eggenberger web

 

Unter dem vielsagenden Titel «Kostenwahrheit und Kostenscheinwahrheit im Verkehr – Heilige und Scheinheilige in der Politik» präsentierte Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger von der Uni Fribourg in gewohnt unterhaltsamer Manier seine mindestens so interessanten wie umstrittenen Thesen.

Als zentral für eine optimale Verkehrspolitik bezeichnete Professor Eichenberger einerseits die volle Kostenwahrheit, selbst wenn diese nur grob geschätzt werden könne, und andererseits der generelle Verzicht auf Subventionen. Ein grosses Problem der heutigen Politik sei, dass nur auf ökologische Nachhaltigkeit geachtet würde, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit würden hingegen ignoriert.

Besonders stark kritisierte Eichenberger die Subventionierung des ÖV – wenn dieser mit marktverzerrenden Subventionen bedacht würde, müssten auch ganz andere Güter des täglichen Gebrauchs subventioniert werden, da diese noch wichtigere Versorgungsfunktionen einnehmen als der ÖV: die Mobiltelefonie etwa, die Banken, der Detailhandel oder andere. Als Hauptargument für Subventionen würden die Befürworter stets die Gleichbehandlung bei den externen Schäden anfügen, so Eichenberger weiter. Dieses Argument wird jedoch entkräftet, sobald die externen Schäden pro Personenkilometer ausgewiesen würden und wenn man auch die öffentlichen Mittel in die Rechnung miteinbeziehe. Dann nämlich werden Schiene, Tram und Bus und auch das Velo plötzlich viel teurer. Nur die volle Kostenwahrheit führe letztendlich zu wirklich effizienten Lösungen. 

Und das Klima? Hier schlägt Reiner Eichenberger einen international einheitlichen CO2-Preis von 40 bis 70 Franken pro Tonne vor – denn nur ein überall auf der Welt geltender Einheitspreis führe wirklich zu einer effizienten Lenkungswirkung. Zum Abschluss benannte Professor Eichenberger die aus seiner Sicht bestehenden Knackpunkte beim Übergang zur vollen Kostenwahrheit: Wer entscheidet über die Höhe der Abgaben, wohin fliessen die Beträge und kann dem Bürger tatsächlich volle Kompensation zugesichert werden?

Als zweiter Referent trat Christian Kellerhals vom Bundesamt für Strassen ASTRA vor das Publikum. Er benannte die bekannten Trends in der Mobilität: ein zunehmendes Verkehrswachstum bis 2040, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung der Mobilität sowie eine Zunahme des Langsamverkehrs.

Als grösstes Problem für unsere Verkehrsinfrastruktur benannte Kellerhals die vielen Staustunden auf dem Nationalstrassennetz – die übrigens überwiegend aufgrund Verkehrsüberlastung zustande kämen und nur zweitrangig aufgrund von Baustellen und Unfällen. Zentral sei daher die seriöse Instandhaltung und der punktuelle Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere der Autobahnen. Die Finanzierung gerate allerdings zunehmend unter Druck: Die Haupteinnahmequelle für die Finanzierung der Strassen seien bekanntlich die Mineralölsteuer und der Mineralölsteuerzuschlag, führte Christian Kellerhals aus. Mit der zunehmenden Elektrifizierung drohe diese Finanzierungsquelle jedoch zu versiegen. Ziel des ASTRA sei es daher, die bisherige Finanzierung durch eine «pay-as-you-use»-Abgabe zu ersetzen, also eine Kilometerabgabe. Diese solle abgestuft nach Fahrzeuggewicht erhoben werden, ohne zusätzliche finanzielle Belastung des Autofahrers notabene – allerdings würden neu auch E-Fahrzeuge zur Kasse gebeten. Die Umsetzung solle mit einem speziellen Erfassungsgerät in den Fahrzeugen erfolgen, was allerdings wiederum Probleme mit dem Datenschutz mit sich bringe. Es werde sich zeigen, ob ein solches System mehrheitsfähig ist.

Die Sicht der KMU vertrat anschliessend Hans-Ulrich Bigler, Direktor des schweizerischen Gewerbeverbands sgv. Ein grosser Teil der Güter würde via Strasse verteilt, insbesondere auf der «letzten Meile». Die Qualität der Verkehrs- bzw. Strasseninfrastruktur, insbesondere was die Staustunden angehe, sei daher zentral für die Schweizerische Wirtschaft.

Zur Thematik des Mobility Pricing meinte alt Nationalrat Bigler, es sei gerade in den rot-grün dominierten Städten zu befürchten, dass von Mobility-Pricing gesprochen, aber Road Pricing gemeint sei, also klassische Verkehrszölle zur Beschränkung des Autoverkehrs. Ein weiterer Aspekt käme hinzu, wenn mit «Mobility Pricing» das Brechen von Verkehrsspitzen gemeint sei, was allerdings wiederum für all diejenigen, die auf fixe Zeiten ausgerichtet sind, höhere Kosten und damit eine Benachteiligung zur Folge hätte. Der sgv lehnt all diese verschiedenen Ausgestaltungen von Mobility Pricing ab – also das reine Road-Pricing, eine Bepreisung zur Brechung von Verkehrsspitzen und jegliche Versuche, via Verkehrsabgaben ökologische Lenkungsinstrumente einzuführen. Wenn Mobility Pricing allerdings eine nutzungsabhängige Bepreisung aller Verkehrsträger vorsieht, dann sei diesem zuzustimmen. Ob die Politik dieses heisse Eisen allerdings anfassen wird, sei höchst fraglich.

 

Branchentag 142 Podium web

 

Im Anschluss diskutierten die drei Referenten unter der Leitung von Reto Brennwald zusammen mit Nationalrat und FDP-Vizepräsident Philippe NantermodReiner Eichenberger wiederholte die Aussagen aus seinem Referat: es müsse eine Gleichbehandlung aller Verkehrsträger erreicht werden, insbesondere der ÖV müsse «entzaubert» und dessen offensichtlichen Nachteile offengelegt werden. Hans-Ulrich Bigler teilte die Meinung, dass der ÖV überhöht werde. «Wer Zug fährt, verhält sich nicht automatisch gut», so der sgv-Direktor. Die Korrektur dieser Fehlinterpretation stehe am Anfang einer sinnvollen Reform. Christian Kellerhals gab seinen Vorrednern grundsätzlich recht. Er sei allerdings derjenige, der eine solche Mammutreform aufgleisen und umsetzen müsse, und meinte dazu leicht sarkastisch: «Mit ganz grossen Würfen haben wir in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht». Philippe Nantermod hingegen verwies auf den Klimaschutz: man dürfe das Ziel der Dekarbonisierung in den Überlegungen zur Strassenfinanzierung nicht gänzlich ausklammern. Ausserdem geniesse der ÖV grosse Sympathien in der Öffentlichkeit. Der FDP-Nationalrat aus dem Wallis gab sich pessimistisch. Er glaube nicht, dass die diskutierten Pläne in der Bevölkerung mehrheitsfähig wären. Fazit: Den Anwesenden wurde einmal mehr deutlich vor Augen geführt, wie gross der Graben zwischen dem ökonomisch Wünschbaren und dem politisch Machbaren nach wie vor ist.

Das Nachmittagsprogramm wurde eröffnet von Bernhard Oehry, Geschäftsführer der Rapp Trans AG, der ausführlich über die teilweise hochkomplexen technischen Aspekte der diversen Bepreisungssysteme referierte. Herr Oehry konnte sich bei seinen Ausführungen auf jahrelange Erfahrung stützen, schliesslich verantwortet seine Firma seit Jahren die technische Umsetzung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA. 

Andreas Dürr, Präsident des ACS beider Basel, konnte in seinem Referat aus eigener Erfahrung aus einer Stadt berichten, die sich für ein Pilotprojekt zu Mobility Pricing zur Verfügung gestellt hat. In der Stadt Basel, so hielt Dürr fest, sei Mobility Pricing ein lupenreines Road Pricing, als ein System einzig und allein zur Verkehrslenkung bzw. -einschränkung. Er gab damit den am Vormittag von Hans-Ueli Bigler geäusserten Befürchtungen zu hundert Prozent recht. Die so genannte «Basel Flow Taxe» fokussiere auf den Ziel-, Quell- und Transitverkehr; sie beinhalte zudem eine Abstufung nach Schadstoffklasse, so Dürr weiter. Noch befinde sich das Projekt in der Planungsphase; bei der Umsetzung dürften allerdings noch zahlreiche Stolpersteine im Weg liegen. 

Gian Nauli vom schweizerischen Baumeisterverband beleuchtete danach das Thema Mobility Pricing aus Sicht derer, die die Strasseninfrastruktur bauen und an der Front unterhalten müssen. Eine langfristig gesicherte Finanzierung sei für die Aufrechterhaltung einer leitungsfähigen Verkehrsinfrastruktur unverzichtbar.

Weiter orientierte Peter Goetschi, Zentralpräsident des TCS, über die Haltung des TCS zu Mobility Pricing. Für ihn sei klar, dass die Strassenfinanzierung nicht gleichzeitig als Lenkungsinstrument missbraucht werden dürfe: Dies sei unsozial und berge unlösbare Zielkonflikte. Ausserdem müsse – wenig überraschend – eine Verteuerung der Mobilität unbedingt verhindert werden.

François Launaz, Präsident von auto-schweiz betonte in seinen Ausführungen die Relevanz des NAF als Finanzierungssystem für die schweizerische Verkehrsinfrastruktur. Daran, dass dessen Finanzierung immer unsichereren Zeiten entgegen gehe, sei nicht zuletzt seine eigene Branche schuld – schliesslich seien es die Autoimporteure, die mit dem Verkauf von immer effizienteren Automobilen und E-Fahrzeugen am meisten zum Rückgang der Einnahmen aus den Treibstoffsteuern beitrage. «Der Fluch der guten Tat» resümierte Launaz mit leichter Ironie. Zukünftig müssten alle Verkehrsteilnehmer gleichermassen zur Finanzierung der Infrastruktur hinzugezogen werden. Das Ziel müsse sein: finanzieren, ohne zu lenken.

Daniel Hofer, Präsident von Avenergy Suisse, wies in seinem Plädoyer darauf hin, dass in der bisherigen Betrachtung nur die Ebene des Bundes vorkam. Schlussendlich bezahlen die Autofahrer auch auf kantonaler Ebene. Zwischen diesen Ebenen muss wie zwischen In- und Ausland eine Koordination stattfinden, wenn ein neues Finanzierungssystem zum Tragen kommen soll. 

 

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In der anschliessenden Diskussionsrunde schälten sich noch einmal die beiden Standpunkte heraus: Für Nationalrätin Barbara Schaffner sind die Finanzierungs- und Lenkungsfragen untrennbar. Das Niveau der künftigen Infrastrukturfinanzierung solle sich nicht nach einem ungezügelten Stossverkehrsaufkommen ausrichten, so die Züricher Grünliberale. Dagegen möchte Albert Rösti (Nationalrat SVP BE) ganz klar von jeglicher Lenkungsfunktion des künftigen Finanzierungssystem Abstand nehmen. Aus seiner Sicht gibt es gar keine Spitzen, die gebrochen werden könnten, die Strasseninfrastruktur sei grundsätzlich an ihre Grenzen gestossen und müsse dringen ausgebaut werden. 

Mit dem Branchentag 2021 von Avenergy Suisse und strasseschweiz wurde eine Diskussion angestossen, auf deren Facetten man in den kommenden Jahren gespannt sein darf.