Für die Energiewirtschaft in Europa werden die Fragen zunehmend drängender, wie weit die Beteiligung an einem Energieembargo gegen Russland gehen kann. Vor allem die EU gerät in Zugzwang, nachdem die USA schon vor Wochen ein Energieembargo beschlossen haben. Der Einfuhrstopp für russische Kohle dürfte deshalb nur ein erster Schritt gewesen sein. Die Frage ist nicht, ob weitere Sanktionen im Energiesektor kommen, sondern eher, wann. Dies kann den Äusserungen des EU-Ratspräsidenten Charles Michel vom 6. April entnommen werden. Der deutsche Finanzminister Christian Lindner äusserte sich klar gegen ein Gas-Embargo, hingegen könnte ein Öl-Embargo zunehmend auf Akzeptanz stossen.
Obwohl die Angebotssituation aufgrund des Ukraine-Krieges und der Sanktionen gegen Russland angespannt bleibt, sind die Ölbörsen letzte Woche unter Druck geraten. Trotz einer gewissen Grundskepsis in Bezug auf die Freigaben aus den strategischen Reserven scheint die grosse Menge, die die USA und andere IEA-Nationen zusätzlich auf den Markt bringen wollen, auszureichen, um die größten Versorgungsängste zu entkräften. Insgesamt werden es 240 Millionen Fass sein, die über einen Zeitraum von sechs Monaten zur Verfügung gestellt werden sollen.
Die koordinierte Freigabe könnte allerdings auch dazu führen, dass die OPEC+ nun noch zögerlicher vorgeht bei der Erhöhung ihrer Produktionsmengen. Das Bündnis hatte in den letzten Monaten alle Bitten und Forderungen der Verbraucherländer nach einer stärkeren Angebotserhöhung ignoriert und den Markt als grundsätzlich ausgeglichen bezeichnet. Auch der Kriegsausbruch in der Ukraine hatte an dieser Haltung nichts geändert. Mehr Öl aus den strategischen Reserven könnte für die OPEC+ nun ein Grund sein, jetzt erst recht bei den geringen Produktionssteigerungen zu bleiben.