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Die Abkehr von fossilen Energieträgern ist seit Jahren eines der dominierenden Themen der Schweizer Energiepolitik. Über den Unterhalt der Infrastruktur, die für die Bereitstellung von Mineralöl­produkten in der Schweiz entscheidend ist, wird dagegen eher selten diskutiert. Wird für diese Infrastruktur aus mittel- und längerfristiger Sicht genügend getan und wo ist politischer und technischer Handlungsbedarf angezeigt? Diesen Fragen widmete sich der 9. Avenergy Branchentag.

 

 

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Knapp 150 Personen trafen sich am Dienstag, 29. Oktober zum 9. Branchentag von Avenergy Suisse im Restaurant Metropol, mitten im Zentrum der Stadt Zürich. Die Tagung, die unter dem Titel «Infrastruktur unserer Energieversorgung: quo vadis?» stattfand, wurde von Avenergy-Geschäftsführer Roland Bilang eröffnet. Er ging ohne Umschweife auf die Widersprüche ein, der sich die Mineralölbranche in der heutigen Zeit ausgesetzt sieht: «Das Schlagwort Stop Oil mag für gewisse Politiker gut klingen, aber der Preis, der dafür bezahlt werden muss, ist horrend, und unsere Gesellschaft ist nicht bereit, diesen Preis zu bezahlen.», so Bilang. Fossile Energie werde weltweit noch Jahrzehnte lang die bestimmende Energie bleiben und habe insbesondere im Rahmen der Energiekrise infolge des Ukrainekriegs ihre Bedeutung für die Versorgungssicherheit bewiesen, so Bilang weiter. Fazit: das Schlagwort müsste eigentlich «Stop stop Oil» heissen – so einfach wäre es.

 

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Sinkender Ölverbrauch – weniger Pflichtlager
Geleitet wurde die Veranstaltung wie immer von Reto Brennwald, der sich aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit für den Avenergy-Branchentag selber schon zum Energieexperten gemausert hat. Die erste Referentin kündete er vielversprechend als «Miss Versorgungssicherheit» an:

 

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Andrea Studer, Direktorin von Carbura, führte aus, wie die schweizerische Pflichtlagerorganisation in der ganzen Schweiz Tankraum betreibt und unterhält und damit sicherstellt, dass die Versorgung mit Mineralölprodukten auch in Krisenzeiten stets gewährleistet bleibt. Aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Mineralölprodukten sinkt jedoch auch die Menge an physischen Pflichtlagern – was wiederum die Logistik für die landesweite Verteilung von Benzin, Diesel und Heizöl vor neue Herausforderungen stellt.

 

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Eine der wichtigsten Einfuhrwege für Mineralölprodukte ist bekanntlich der Rhein; dies macht die Rheinhäfen in der Region Basel zu einer der wichtigsten Infrastrukturen für die schweizerische Mineralölversorgung. Diese zentrale Rolle portraitierte Simon Oberbeck, Geschäftsführer der Vereinigung für Schifffahrt und Hafen­wirtschaft, in seinem Referat ausführlich: nicht nur ist der Rhein wichtig für den Transport von Benzin, Diesel & Co., das gleiche gilt auch andersrum – Mineralölprodukte machen vom Gewicht her nach wie vor rund die Hälfte der in den Basler Rheinhäfen umgeschlagenen Produkte aus – trotz tendenziell sinkenden Absätzen.

 

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Schiene und Strasse nicht gegeneinander ausspielen
Die Schiene ist eine weitere vitale Infrastruktur für die Verteilung von flüssigen Brenn- und Treibstoffen in der Schweiz. Zuständig für die Interessen der Betriebe des Güterverkehrs ist der Verband der verladenden Wirtschaft VAP. Als grosse Herausforderung seiner Branche skizzierte der nächste Redner, VAP-Generalsekretär Frank Furrer die langfristige Sicherstellung der Finanzierung des Güterbahnnetzes. Schliesslich herrsche auch bei der Bahn ein reger Verteilkampf zwischen den unterschiedlichen Nutzern.

 

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«Sie sind mitverantwortlich dafür, dass dieses Land funktioniert, dafür danke ich Ihnen»; mit diesen Worten begann der Direktor des Bundesamtes für Strassen, Jürg Röthlisberger, sein Referat am Avenergy-Branchentag. Er nimmt in letzter Zeit eine Abkehr von Dogmen in der Verkehrspolitik wahr. Dies ist auch wichtig, denn selbst wenn die Dekarbonisierung und die Verschiebung von der Strasse auf die Schiene in den nächsten Jahrzehnten fortschreiten, wird die Strasse für die Verteilung von Gütern auch bis auf weiteres unverzichtbar bleiben. Jürg Röthlisberger erteilt in seinem Referat gewissen politischen Tendenzen, Strasse und Schiene gegeneinander auszuspielen, somit eine klare Absage. Weiter spricht er die Überlastung des Verkehrsnetzes an: diese ist unübersehbar, es gibt mittlerweile Stau an Orten, an denen man niemals damit rechnen würde, und die Fahrt auf der Autobahn wird immer unberechenbarer. Ein massvoller Ausbau der Autobahnen, wie sie am 24. November zur Abstimmung kommt, ist gemäss Jürg Röthlisberger daher unumgänglich.

 

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Kritische Infrastruktur muss geschützt werden
Nach der Mittagspause richtete Barbara Mühlemann, Country President Switzerland von Varo Energy den Fokus auf eine weitere essenziell wichtige Infrastruktur der Schweizer Energieversorgung: die von Varo betriebene Raffinerie Cressier ist die letzte verbliebene Raffinerie der Schweiz, in der aus importiertem Rohöl verschiedenste Mineralölprodukte hergestellt werden. Barbara Mühlemann führte aus, wie wichtig es ist, kontinuierlich in kritische Infrastrukturen wie die Raffinerie Cressier zu investieren, um – gemäss dem Titel ihres Referats – «auf dem Fundament von gestern die Infrastruktur von morgen» errichten zu können.

 

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Aus einer etwas höheren Flughöhe richtete Adrian Dinkelmann seinen Blick auf die Schweizer Infrastruktur. Der Geschäftsführer von Infra Suisse, der Branchenorganisation der im Infrastrukturbau tätigen Unternehmen, bezeichnet insbesondere die Verkehrsinfrastruktur der Schweiz als systemrelevant für die Versorgungssicherheit des Landes. Als grosse Herausforderung sieht er die Finanzierung der Infrastruktur und nennt die Mineralöl­branche dabei als gutes Beispiel für einen Sektor, dessen Infrastruktur sich über die Mineralölsteuer voll und ganz selber finanziert.

 

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Die Energiewende stockt
Als letzter Redner des Tages bot Christof Rühl, Senior Research Scholar an der Columbia University, eine Übersicht über den globalen Energiesektor. Bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs gab es auch in der internationalen energiepolitischen Diskussion kaum ein anderes Thema als die Energiewende. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist die Energiewende jedoch ins Stocken geraten und der Fokus liegt wieder deutlich stärker auf der Versorgungssicherheit. Nüchtern und sachlich zeigt Christof Rühl auf, wie wenig auf dem Weg zur Energiewende seit den 80er-Jahren erreicht worden ist. Schuld daran ist nicht fehlender politischer Wille, sondern vielmehr technische Ursachen; so können erneuerbare Energien nur funktionieren, wenn gleichzeitig fossile Backup-Kapazitäten geschafft werden. Eindrücklich zeigt Rühl auf, dass in der modernen Geschichte eine dominante Energieform immer nur dann ersetzt werden konnte, wenn eine technisch und wirtschaftlich überlegene Energieform auftauchte. Genau hieran krankt die Energiewende. Vor diesem Hintergrund plädiert Christof Rühl für «intelligente Komplementarität statt Substitutionsglaube» – oder anders gesagt: Wir müssen wieder anfangen, das Energiesystem als Einheit zu verstehen.

 

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Peak Oil noch in diesem Jahrzehnt
In der anschliessenden Podiumsdiskussion tauschten sich die beiden Nationalräte und Umweltpolitiker Christian Wasserfallen (FDP) und Martin Bäumle (GLP) mit Christof Rühl über das zuvor Gehörte aus. Dabei plädierte Martin Bäumle eindringlich für mehr Markt in der Energiewende, denn ohne marktwirtschaftliche Anreize lässt sich das Ziel der Defossilisierung nicht erreichen. Christof Rühl wiederum prognostiziert, für viele überraschend, noch vor Ende des laufenden Jahrzehnts den «Peak Oil», was zu sinkender Nachfrage und somit zu sinkenden Ölpreisen führen dürfte. Dies wiederum hätte paradoxerweise zur Folge, dass sich die Abkehr von fossilen Energieträgern verlangsamen könnte. Christian Wasserfallen wiederum legte ein besonderes Augenmerk auf die Kosten der Energiewende für die Bevölkerung: Diese werden seiner Meinung nach deutlich höher ausfallen, als von einigen Politikern in der Vergangenheit versprochen wurde.

 

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Fazit: Mehr Pragmatismus, weniger Ideologie
Das letzte Wort hatte beim traditionellen Jahrestreff der Mineralölbranche wie immer Avenergy-Präsident Daniel Hofer. Er kam zur Konklusion, dass die Erhaltung und die Weiterentwicklung der Infrastruktur «zu Wasser, auf der Strasse und auf der Schiene» auch weiterhin ein zentrales Thema der Energiediskussion bleiben wird. Von den politischen Akteuren wünscht er sich mehr Pragmatismus und weniger Ideologie. Die Abkehr von fossilen Energieträgern sieht er mit Skepsis: man dürfe nichts überstürzen: Was in Jahrhunderten aufgebaut wurde, kann nicht in wenigen Jahren ersetzt werden.

 

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