Vorletzte Woche hat Socar Switzerland auf der Autobahnraststätte Grauholz bei Bern die erste Wasserstofftankstelle des Nationalstrassennetzes eröffnet. Weniger als einen Monat zuvor weihte Avia Distribution eine H2-Tankanlage im waadtländischen Puidoux ein. Ohne staatliche Fördermittel hat die Mineralölbranche damit in knapp fünf Jahren 15 Wasserstofftankstellen realisiert, vier weitere sollen noch in diesem Jahr folgen. Die Schweiz verfügt nun im Verhältnis zur Fläche des Landes über die dichteste Abdeckung Europas. Zumindest nördlich der Alpen ist damit die Versorgung der wachsenden Zahl der Brennstoffzellen-Fahrzeugen gewährleistet, wohlgemerkt mit grünem Wasserstoff. Denn auch die Herstellung dieses Energieträgers mithilfe von erneuerbarem Strom nimmt nun Fahrt auf, nachdem es wegen der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine zwischenzeitlich zu Verzögerungen kam. Aktuell kann in der Schweiz mit dem Strom zweier Wasserkraftwerke genügend grünes Gas produziert werden, um die bestehende Fahrzeugflotte mobil zu halten. Es herrscht also eitel Sonnenschein in der Wasserstoff-Welt, so könnte man meinen.
Heute darf und muss ich beim Kauf eines Neuwagens selbst entscheiden, ob allenfalls ein Elektrofahrzeug meinen Bedürfnissen entspräche. Kann ich es aufladen und damit meine Routen zurücklegen? Kann und will ich es bezahlen, amortisieren, weiterverkaufen? Gefallen mir die Modelle? In bloss 11 Jahren müssen sich Autofahrerinnen und Autofahrer in der EU nicht mehr mit solch lästigen Fragen herumschlagen. Dann masst sich Väterchen Staat an, den Entscheid für jede und jeden von ihnen gleich selbst zu fällen. Auch in der Schweiz sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass wir uns dieser schönen neuen Welt entziehen werden. Aber machen wir uns nichts vor: weder wird es 2035 europaweit eine flächendeckende Infrastruktur geben mit Ladestationen, aus denen klimaneutraler Strom fliesst, noch werden genug bezahlbare synthetische Treibstoffe auf dem Markt sein, um normalen Leuten Zugang zu einem Neuwagen mit Verbrennungsmotor zu gestatten. Man darf gespannt sein, mit welchen juristischen Kniffen und rhetorischen Pirouetten die Entscheider-Kaste in Brüssel dann Realpolitik betreiben will.